Emil Cardinaux

Emil CARDINAUX (1877 Bern 1936)

Ende des 19. Jahrhunderts zeichnete sich dank Ferdinand Hodler eine umfassende Veränderung in der Schweizer Kunstszene ab: erstmals wagte ein Maler radikal sich selber zu sein. Obwohl Hodler nie Schüler hatte, sprach man bald von einer kleinen Gruppe von Berner Künstlern als „Hodlerianer“. Diese Bezeichnung verdankten sie nicht einer einheitlichen Stilrichtung, sondern vielmehr dem Umstand, dass sie wie Hodler sich trauten, ihren eigenen Weg zu gehen. Zu diesem Kreis gehörte nebst Cuno Amiet und Max Buri auch Emil Cardinaux.

Cardinaux kam 1877 in Bern zur Welt, wo er auch aufwuchs. Er war jedoch romanischer Abstammung mit Wurzeln im waadtländischen Palézieux. Seine Jugend war glücklich und sorglos. Er besuchte die Eschenbacher-Privatschule und war ein wohl begabter, aber etwas zerstreuter und nicht sehr fleissiger Schüler mit einem regen Vorstellungsvermögen. Bereits während seiner Schulzeit zeichnete und malte er leidenschaftlich gern.

Nach drei Semestern Jurastudium in Bern ging er 1898 nach München, wo er sich künstlerisch weiterbildete. Bei Franz Stuck, einem der Mitbegründer der Münchner Sezession, lernte Cardinaux vor allem das Aktzeichnen. Zu Stucks Schülern zählten auch Paul Klee und Wassily Kandinsky. Während zwei Jahren war auch Cardinaux ein begeisterter Schüler, beschränkte seine Interessen aber nie nur auf die Ausbildung. So besuchte er zum Beispiel die wertvollen Sammlungen in der Münchner Pinakothek und vernachlässigte auch nicht seine zweite Leidenschaft, den Bergsport. Auf seinen Ausflügen ins Kaisergebirge malte er gelegentlich auch. So entstand 1900 in der Gegend von Dachau das Bild „Abend“.

1903 kehrte Cardinaux mit der Überzeugung, dass es für jeden Künstler nur einen einzigen Weg gibt, den eigenen, in die Schweiz zurück. Im Sommer malte er im Berner Oberland und ging dann im Herbst nach Paris, wo er die Avantgarde der französischen Malerei, vor allem die Impressionisten, kennen lernte. Cardinaux verschrieb sich jedoch zeitlebens nie einer bestimmten Stilrichtung, sondern bemühte sich immer um die Entwicklung seines eigenen Stils. Dies erforderte nebst Talent viel Selbstvertrauen.

Zurück in der Schweiz malte Cardinaux 1904 seinen ersten Plakatentwurf, ein Bild des Oeschinensee. Im folgenden Jahr bereiste er Italien. Der Besuch der Kunststädte Florenz, Siena und Bologna waren ihm eine innere Bereicherung, nahmen jedoch keinen Einfluss auf seinen Malstil. Von 1905 an wurde sein Name in der Berner Kunstszene immer öfter genannt, sein Ruf als Maler und Plakatkünstler festigt sich und wie Amiet, Boss, Colombi und Buri galt er bald als „Vollblut-Hodlerianer“. Hodlers Schaffen orientierte sich an Werten wie Ordnung, Kraft und Einheit. Dies ist es was Hodler für Cardinaux bedeutend machte.

1906/07 verbrachte Cardinaux viel Zeit auf dem Jaunpass und malte Winterlandschaften. Im Sommer 1907 kehrte er für ein paar Monate nach München zurück, wo er temporär das Atelier von Carl Liner übernahm. 1908 starb seine Mutter, 1909 sein Vater. Er zog nach Muri bei Bern, baute sich ein Haus mit Atelier – mit Ausblick auf die geliebten Berner Alpen – und heiratete 1914 Marie Herren. Sein Vetter, Oskar Bider, hatte in dieser Zeit das Fliegen erlernt und nahm Cardinaux als einer der ersten Passagiere mit auf Flüge ins Jungfraugebiet: so konnte Cardinaux seine Berge zum ersten Mal aus einer neuen, lichtvollen Höhe bewundern.

Der Maler Cardinaux

Vom Grossteil des damaligen Kunstgeschehens unterschied sich Cardinaux in seiner selbstverständlichen Vielseitigkeit, seinem reichen Schönheitsempfinden und sicheren Können. Er galt als begeisterungsfroh, gemütstief, empfindsam und niemals oberflächlich. Seine Landschaftsmalerei bildete den weitaus überwiegenden Teil seines Schaffens. Darin vereinte sich sein künstlerischer Schaffensdrang mit einer tiefen Naturverbundenheit. Seine Werke sind unverkennbar in ihrer Innigkeit, und zeugen von einer gemütvollen Vertrautheit mit der Natur. Cardinauxs Beziehung zu den Bergen war eine ganz andere als diejenige Hodlers, der die Alpen primär ihrer Kraft, Grösse und Schroffheit wegen liebte.

Der Grafiker Cardinaux

Der Plakatkünstler
Emil Cardinaux erkannte als einer der ersten Künstler überhaupt die spezifischen Anforderungen des Plakates an seinen Gestalter. Von seinen ersten Plakatentwürfen an versuchte er, im Plakat ein eng geschlossenes, von seiner Umgebung so unabhängig als möglich wirkendes, Kunstwerk zu gestalten. Cardinaux war sich auch bewusst, dass Plakate eine begrenzte Lebenszeit haben und für Ausstellungsplakate nicht viel Geld zur Verfügung stand. Entsprechend waren keine Dauerkunstwerke gefragt, viel mehr ging es darum mit neuen Ideen, starken Kompositionen und bewusster Farbgebung Aufmerksamkeit zu erringen. Er erkannte folgerichtig, dass das Plakat bei möglichst geringem Kostenaufwand im Steindruck eine hohe Lichtechtheit, große Leuchtkraft und möglichst weit reichende Fernwirkung gewährleisten muss. Cardinaux lernte das Lithographieren in München und kannte daher die spezifischen Möglichkeiten aber auch die technischen Grenzen des Steindrucks. Seine Plakate standen schon zu ihrer Zeit aus der bunten Masse von alltäglichen Anschlägen hervor, und begeistern heute Sammler mehr denn ja dank ihrer oft genial schlichten Gestaltung und der meisterlichen, handwerklichen Ausführung.

Mono-Karten
Der Gründer der Internationalen Mono-Gesellschaft in Winterthur, Karl W. Bührer, gab 1905 die ersten Monokarten heraus mit dem Ziel, gute Kunst und Literatur unter das Volk zu tragen. Die Geschäftswelt sollte dazu erzogen werden, geschmackvolle Reklame zu streuen. Obwohl die Karten zu beliebten Sammlerobjekte wurden, blieb der wirtschaftliche Erfolg bescheiden, und die Produktion wurden schon bald wieder eingestellt. Die ersten der wenigen Monokarten wurden von Cardinaux gestaltet. So kreierte er schon 1906 für den Tourismusverein Zermatt eine Monokarte mit einer außergewöhnlichen Darstellung des Matterhorns. Zwei Jahre später wurde dasselbe Bild dann als Plakat gedruckt. Noch heute gilt dieses in seiner Schlichtheit gewagte Bild als eines der schönsten und bedeutendsten Plakate der Schweizer Tourismuswerbung.

Plakatwettbewerbe: Schweizerische Bundesbahn und die Landesausstellung
1903 schrieb die Schweizerische Bundesbahn ein Plakatwettbewerb aus, der einen der Grundsteine zur Entwicklung des Schweizer Künstlerplakates legte. In der Ausschreibung hiess es damals: „Wettbewerb zwischen schweizerischen oder in der Schweiz wohnenden Künstlern zur Ausführung von Originalentwürfen zu sechs farbig illustrierten Plakaten, welche vornehmlich in Bahnhöfen, Hotels und auf Dampfbooten des Auslandes ausgestellt werden sollen“. Die Druckerei Benteli AG in Bern wandte sich an die Maler Christian Baumgartner, Edoardo Berta, Edmond Bille, Eduard Boss, Emil Cardinaux, Plinio Colombi, H. Harbuger, Ernst Linck, Carl Liner und Hans Beat Wieland. Für ihre Arbeiten erhielten sie je 100 Franken. Für seinen Entwurf des „Oeschinensee“ wurde Emil Cardinaux mit einer Ehrenmeldung ausgezeichnet. Einige seiner Plakate polarisierten die Öffentlichkeit: 1914 gewann er den hoch dotierten Wettbewerb für die Plakatgestaltung der Schweizerischen Landesausstellung. Sein „grünes Ross“ wurde von vielen Schweizern als skandalös empfunden: nichts, womit man sich identifizieren konnte. Auch für die Webung im Ausland musste kurzfristig ein anderes Plakat hergestellt werden, das mehr dem gängigen Klischee des Alpenländles entsprach.

Plakate für die Privatwirtschaft: Villars, Bally, PKZ
Nach dem SBB-Wettbewerb beauftragte die Schokoladenfabrik Villars Cardinaux mit zwei Plakatentwürfen. Die beiden Plakate „Der Fuchs und der Rabe“ und „Der Rattenfänger von Hameln“ sprechen uns dank ihrem Witz auch heute, nach mehr als 100 Jahren, noch an. Als einer der ersten Plakatgestalter verstand Cardinaux, dass das Plakat Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zugleich seine Botschaft im Bewusstsein des Betrachters verankern musste. Ob in seiner Plakatwerbung für Tabak und Kaffee, für die Schuhcrème Rihs und den Schuhproduzenten Bally, oder für die Modefirma P.K.Z. setzte er diese, für jene Zeit bemerkenswerte, Marketingeinsicht überzeugend um.

Tourismuswerbung: Cardinauxs Plakate für die Rhätische Bahn, St. Moritz und den Kanton Graubünden oder die Jungfraubahn.
Cardinauxs Plakate für die Tourismusorte zeugen von einer feinen Beobachtungsgabe. Man spürt seine Liebe zur Bergwelt aus den Bildern heraus. Die Menschen fügen sich immer harmonisch in das größere Ganze der Natur ein. Wunderschöne Beispiele hierfür sind die Plakate, die Cardinaux für den Luxus-Ort St. Moritz entwarf, so etwa „Palace Hotel“, die „Winterlandschaft“ oder „Golf in St. Moritz“, das „Matterhorn“ für Zermatt oder die Sujets für die Jungfraubahn.

Emil Cardinaux leistete ein wichtiges Stück Kulturarbeit für unser Land, das erst heute national sowie international in seiner vollen Tragweite gewürdigt wird. Er war und bleibt einer der wichtigsten und wunderbarsten Künstler der Schweizer Plakatkunst.

Plakate von Emil Cardinaux